Es ist der 19.12.2024. Ich bin mit dem Verein verbal und Emerging Linguists im Àgnes-Heller-Haus an der Universität Innsbruck bei der 48. Österreichischen Linguistiktagung (ÖLT). Die Stimmung ist ausgelassen und die Teilnehmer:innen, die sich in unterschiedlichen Stadien ihrer wissenschaftlichen Karriere befinden, diskutieren angeregt und lachen miteinander. Unter diesem Motto steht auch der Workshop von unseren beiden Vereine: „Rückblicke und Ausblicke auf die Angewandte Linguistik in Österreich – eine gemeinsame Bestandsaufnahme von verbal und Emerging Linguists anlässlich des 30. Geburtstags von verbal.“ Wir blicken gemeinsam auf Augenhöhe zurück und in die Zukunft und fördern den Austausch zwischen Menschen auf allen Ebenen ihrer wissenschaftlichen Karriere. Während sich draußen am Innsbrucker Himmel die letzten Wolken auflösen, bildet sich in unserem Workshopraum unweit von mir ein Plakat mit einem Luftschloss, das sich langsam mit Begriffen füllt.
Die Planung des Workshops begann bereits im März 2024. Zuvor hatten verbal und Emerging Linguists großes Interesse an einer Zusammenarbeit bekundet. Sabine Lehner und Edna Imamović von verbal und Laura Levstock und ich, René Foidl, von Emerging Linguists steckten nach der Veröffentlichung des Call for Workshops der 48. Österreichischen Linguistiktagung die Köpfe zusammen, um die Rahmenbedingungen für unseren gemeinsamen Workshop auszuarbeiten. Schließlich sollten die Vortragenden über die Themenfelder, den Umfang ihrer Abstracts und Vorträge, die Deadline und Kontaktdaten informiert sein, um entscheiden zu können, ob der Workshop für sie von Interesse ist. Aber nicht nur: Für uns war ein Workshop mit einem anderen Verein Neuland. So mussten wir erstmal schauen, ob wir uns eine Zusammenarbeit überhaupt vorstellen könnten. Diese Frage klärte sich jedoch in Windeseile auf. Für uns war klar, dass das Gemeinsame und die Öffnung des Raums für alle im Mittelpunkt stehen sollte. So kommt es, dass Martina Soini, selbst noch Studierende, heute den Workshop mit ihrem spannenden Vortrag „‘Eure Sprache, meine Sprache, das Land meiner Kinder‘: Subjektivierungsweisen und Sprache in der Lebensgeschichte des Herrn C. L.“ eröffnet. Martina Soini arbeitet in ihrem Beitrag Identitätskonstruktionen und sprachbezogene Akteur:innenschaft anhand einer Biographie heraus. Damit gibt sie nicht nur ihrer Arbeit, sondern auch einer Person eine Stimme, die sonst im Diskurs unsichtbar bleibt. Eine Teilnehmerin regt Martina an, über eine Publikation in einem Journal nachzudenken, bevor sich der Raum wieder mit Klopfen füllt.
Während die Zusammenarbeit mit einem anderen Verein in der Konzeption eines Workshops für Emerging Linguists Neuland war, hatten wir bereits Erfahrung mit der Konzeption einer Tagung.Unsere ersten Workshop-Erfahrungen sammelten wir an der 47. Österreichischen Linguistiktagung 2023 an der Universität Graz. Auch damals ging es darum, „emerging linguists Raum zu geben, ihre wissenschaftlichen Arbeiten an einer etablierten österreichischen Tagung zu präsentieren.“ Elf Personen präsentierten ihre Arbeiten in angenehmer Atmosphäre. Die 47. Österreichische Linguistiktagung war somit nicht nur ein Meilenstein für uns, sondern brachte uns zu unserer großen Freude ein neues Vorstandsmitglied. David Košić und wir verstanden uns auf Anhieb so gut, dass er seither ein fixer Bestandteil der Emerging Linguists ist. Unser erster Workshop war also nicht nur ein organisatorischer, sondern auch ein emotionaler Höhenflug. Überraschend gutes Feedback erhielten wir auch von den Teilnehmer:innen. Auch Galyna Orlova war damals in Graz dabei. Heute präsentiert sie in Innsbruck und betont gleich zu Beginn, dass es die Atmosphäre in Graz war, die sie dazu bewogen hat, ihr Abstract einzureichen. Dieser positive Nachgeschmack ist auch für uns der Grund, warum wir heute an der Universität Innsbruck sind.
Kurzzeitig sah es so aus, als würde der Workshop ins Wasser fallen. Aufgrund der Urlaubszeit hatten wir es versäumt, den Workshop ausreichend zu bewerben. So mussten wir bei den Organisator:innen der Tagung um eine Verlängerung der Deadline ansuchen. „Alle sind sich einig, dass gerade die Emerging Linguists dabei sein sollten“, teilte uns das Organisationsteam damals mit. Und die Werbetrommel wurde erneut gerührt. Wir erinnerten uns aber auch an ein Learning der 47. Österreichischen Linguistiktagung. Wir erfuhren, dass Professor:innen Teilnehmer:innen dazu motivierten, ein Abstract einzureichen. „Der Lehrveranstaltungsleiter hat […] auf das Ausschreiben der Linguistiktagung aufmerksam gemacht und vorgeschlagen, dass wir unsere Arbeit einreichen sollen“ schrieb Stefan Ceska damals. Jetzt hält er gemeinsam mit Hannes Essfors und Manuel Meschiari einen leidenschaftlichen Vortrag zu „Linguistic Differences in H. C. Andersen and Grimm Fairy Tales: A Quantitative Corpus Analysis”. Darin beschreiben sie die sprachlichen Unterschiede zwischen den Autoren anhand der Sentiment Analysis, die die Stimmung der Märchen herausarbeiten kann. „Die Angewandte Linguistik bietet einen wunderbaren Raum für Diversität”, denke ich und schaue auf unser Luftschloss.
Vor einer Woche haben Edna, Sabine, Laura und ich uns ein letztes Mal getroffen, um die Einführung, die Moderation und den Abschluss zu besprechen. Bei diesem Treffen verteilten wir die Aufgaben und entschieden in einem fairen Online-Schere-Stein-Papier-Duell zwischen Edna und mir lachend, in welcher Reihenfolge wir die Vereine vorstellen sollten. Außerdem überlegten wir, wie wir den Tag festhalten und eine Diskussionsgrundlage für den Abschluss schaffen könnten. Wir entschieden uns für ein Luftschloss, das die Grundlagen und die Vielfalt der gegenwärtigen und zukünftigen Arbeit der Angewandten Linguistik in Österreich widerspiegeln sollte. Dafür luden wir Teilnehmer:innen ein, Begriffe, Assoziationen und Ideen festzuhalten und am Luftschloss anzubringen. So wurde das Luftschloss auch zum Symbol für das Gemeinsame und Verbindende. Neben „Danke für die Snacks”, „Kritik”, „Persönliches” und „Mehrsprachigkeit” findet sich auch „Zusammenarbeit”. Gerade in der Abschlussdiskussion geht es darum, wie man Menschen in unterschiedlichen Phasen ihres wissenschaftlichen Werdegangs unterstützen und die Zusammenarbeit stärken kann. Vom einfachen Impuls einer Professorin über Mentoring bis hin zu gemeinsamen Veranstaltungen und Räumen, in denen alle zu Wort kommen. „Unser gemeinsamer Raum hier”, denke ich, „ist vielleicht ein Symbol dafür.”