von Lorenz Schüchter
Einführung
Die indoarischen und dravidischen Sprachen teilen sich seit geraumer Zeit den Subkontinent je nach Meinung und Autor bereits vor der Komposition des Ṛgveda (Southworth, 2005) bzw. sicherlich in der vedischen Periode beginnend bis hin in die mittelindische (Ruzsa, 2009).
Nach Ruzsa sind die bedeutendsten Einflüsse des Dravidischen auf das Indoarische in dieser Zeit die Retroflexion, Wortentlehnungen, die Benutzung des Gerundiums und die sogenannte ‚iti‘-Konstruktion (Burrow, 1955; Kuiper, 1974; Hock, 1996; Bryant, 199; Kobayashi, 2004).
Dieser Einfluss stamme dann aus einer dravidischen Substratsituation, also der sozialen Dominanz des Indoarischen (Ruzsa, 2009).
Der Ursprung dieses Einflusses wird dabei ebenfalls nicht von allen Expert:innen als gleich erachtet. Ruzsa hält ihn für eine Sprache, die phonologisch ähnlich wie Tamil ist (Ruzsa, 2009), Deshpande schließt jedoch Tamil aus und postuliert eine der norddravischen Sprachen als Quelle des Einflusses. (Desphande, 1993)
Die Möglichkeiten und Implikationen einer Arischen Invarsionstheorie muss hier außer Acht gelassen werden und ebenfalls kann es sich bei allen in diesem Aufsatz behandelten Gegebenheiten hypothetisch auch immer um Entlehnungen einer dritten, unbekannten indigenen Sprache Indiens handeln, wie auch manche Etymologien vermuten lassen (Southworth, 2005).
Phonetische Einflüsse
Retroflexion
Die Retroflexion ist ein phonetisches Phänomen, das typologisch besonders gehäuft im indischen Subkontinent, aber auch beispielsweise in den slawischen Sprachen auftritt (Hamann, 2003).
Es ist anzunehmen, dass entweder das Indoarische oder das Dravidische die Retroflexion von der jeweils anderen Sprache übernommen hat, wobei eine parallele Entwicklung ebenfalls in Frage käme, wie (Subramanya, 1932) annimmt.
Einiges spricht dafür, dass das Dravidische der Ursprung der Retroflexion sein könnte:
In den Dravidischen Sprachen gibt es eine starke dental – retroflex Opposition, die in den Indoarischen Sprachen lang gar nicht vorhanden war. Retroflexion lässt sich bereits im Ṛgveda beobachten und es scheint, als würden die Phoneme mit Retroflexen über die Zeit bis hin zu den Prākrits mehr zunehmen.
Die wichtigste Quelle davon ist der Verlust eines /r/ oder /ṣ/, das die Retroflexion auslöst wie in prati -> *praṭi -> paṭi (eine Art Kleidungsstück) oder es lassen sich in späteren Prākrits gar keine Auslöser mehr finden wie in nūṇaṃ (sicherlich in (Jaina) Mahārāṣṭrī)(Ruzsa, 2009).
Obwohl die meisten Retroflexe im Ṛgveda phonetisch bedingt und somit Allophone waren (pūrṇa „Art eines Baums“), gab es bereits dort einige, die eindeutig nicht als Allophone zu erklären sind (jaṭhara „Bauch, Leib“) (Ruzsa, 2009).
Vokale
Das Proto-Vedische besaß die Vokale: *a, *ā, *i, *ī, *u, *ū, *ṛ, *ṝ, *ḷ und die Diphthonge: *ăi, *āi, *ău, *āu. Das Proto-Dravidische besaß die Vokalpaare: *e, *ē und *o, *ō und kein *ṛ oder *ḷ. Die Entwicklung in der mittelindischen Periode ai/ au -> ē / ō könnte mit einem Einfluss des Dravidischen auf das Indoarische erklärt werden (Kobayashi, 2004; Steever, 1998).
Finale Konsonanten
Die alt-dravidische Phonotaktik erlaubt nur bestimmte Konsonanten im Auslaut. Diejenigen, die sowohl das Altdravidische als auch das Indoarische im Auslaut zulässt sind: /n/, /m/, /r/.
Bereits im Vedischen ist nur noch ein einzelner Konsonant am Wortende zulässig, also keine cluster. Diese Elision, die Konsonantenverbindungen in finaler Position auflöst, lässt sich an einem gewissen Sandhi noch unvollendet sehen, wie bei: „devāṃs tvam“, ein Sandhi aus „devān“ (den Königen) und „tvam“ (du).
Andere finale Konsonanten haben keine Aspiration oder Stimmhaftigkeit bzw. sind schwach im Sandhi: tasmāt + jātā -> tasmāj jātā (von dort geboren). Diese Tendenz bleibt im Laufe der Prākrits bestehen und erinnert an die dravidische Art im Auslaut: Bei clustern entweder Elision oder ein automatischer Vokalauslaut mit /a/ oder /u/ (Ruzsa, 2009).
Sibilanten
Das Proto-Vedische besitzt die Sibilanten: *s, *ś, *ṣ und deren Allophone *z, *ź, *ẓ. Das Proto-Dravidische hingegen verfügt über keine Sibilanten, sondern bloß über die Affrikate /c/ mit dem Allophon initial und intervokalisch [s] /[ś].
Jene Allophone des Proto-Vedischen sind jedoch bereits im Ṛgveda verschwunden. Eine Erklärung wäre der Austausch besagter Allophone mit den altdravidischen Approximanten: /y/, /ẕ/, /w/. Wenn sich diese Approximanten mit den Vokalen verschmelzen, entstehen neue Vokale: *mazdhā -> *maydhā -> *măidhā -> *medhā (Weisheit). (vgl. Avestisch: Ahura Mazdā) Die zwei dabei auftretenden Phänomene sind ein Verlust des /ẕ/ unter Längung des Vokals oder eine Reinterpretation des /ẕ/ als /r/: *niẓḍa -> *niẕda -> *nīḍa (Nest) bzw. *dusga -> *duẓga -> *duẕga -> durga (Göttin Durgā).
Die mittelindische Verschmelzung von /s/, /ś/, /ṣ/ lässt sich ebenfalls mit dem Auftreten der Affrikate mit den Sibilanten /c/ bzw. [s], [ś] als Allophonen im Alttamil in Verbindung bringen (Ruzsa, 2009).
Cluster
Das Proto-Dravidische besitzt keine cluster, sondern nur Geminaten und Nasale mit nachfolgendem homorganischen Plosiv. Dies macht die meisten Konsonantenverbindungen im Sanskrit unmöglich im Proto-Dravidischen (Lehmann, 1994; Rajam, 1992).
Im Mittelindischen kann eine Entwicklung, die der Art des Dravidischen näherkommt, gesehen werden, nämlich von komplexen clustern zu einfacheren Kombinationen, wie z.B. initiale Plosive der Prākrits einer Geminate in medialer Position entsprechen (Ruzsa, 2009).
Stimmhaftigkeit
Im Mittelindischen werden stimmlose, intervokalische, unbehauchte Plosive generell zu stimmhaften Plosiven (außer Velare, die wegfallen können). Dies kann als übliche Lenition gesehen werden, die von der fehlenden Unterscheidung von stimmhaft und stimmlos im Dravidischen herrühren könnte. (vgl. Caldwell’s law)
Es wird angenommen, dass diese Stimmhaftigkeitsassimilation bereits aus dem Proto-Dravidischen stammt (Steever, 1998; Burrow & Emeneau, 1984; Mayrhofer, 1992), wobei Mahadevan (2003) dem widerspricht.
Sandhi
Sandhi ist ein Lautphänomen, das oft logisch und phonetisch nachvollziehbar erscheint. Jedoch könnten manche Obstruenten dravidischen Ursprungs sein.
Ein Beispiel dafür ist das finale Sanskrit /s/ bzw. [ḥ]. Vor stimmlosen Konsonanten ändert sich der Ort der Artikulation von dental hin zu velar, retroflex, dental oder bilabial. Im klassischen Sanskrit lauten die Formen vor bilabialem und velarem Plosiv in einem visarga (ḥ) auslauten, das Vedische besaß aber noch den bilabialen und velaren Frikativ (upadhmānīya /ɸ/ und jihvāmūlīya /x/) (Tiwari, 2005).
devaḥ k | devaṣ ṭ | devas t | devaḥ p |
Das Altdravidische hat nur einen stimmlosen Frikativ: /h/. Dieser entspricht einem Sanskrit visarga. Im Dravidischen kann ein /h/ nicht final auftreten, sondern nur mit Wiederholung des vorgehenden Vokals. In Sanskrit Rezitationen wird ein visarga oft sehr ähnlich ausgesprochen, jedoch zumeist als stimmhaftes h.
Vor stimmhaften Konsonanten gab es wohl Allophone: [ɣ], [ʑ], [ʐ], [β] (auch mit Einbeziehung der RUKI-Regel) (Ruzsa, 2009).
Altdravidisch hatte 3 stimmhafte Approximanten /y/, /ẕ/ und /w/ (Wilden, 2018). Wenn man annimmt, dass diese in das Indoarische übernommen wurden, dann wurde /ẕ/ vor einem /ʐ/ und ein /y/ vor einem vorderen (palatalen) Vokal eingeschoben, in jedem anderen Kontext ein /w/.
Ein Grund für den Sandhi, dass ein -ḥ vor Vokalen zu einem -r wird, könnte die Interpretation von /ẕ/ als ein /r/ sein.
Der /-av-/ bzw. /-ay-/ Sandhi auf /o/ bzw. /e/ könnte auf Lautwandel wie in den Prākrits zurückgehen:
ava -> ŏvŏ -> ŏŏ -> ō
aya -> ĕvĕ -> ĕĕ -> ē
Ebenfalls könnten die automatisch in dem Dravidischen auftretenden Approximanten vor Hinter- und Vorderzungenvokalen so interpretiert werden:
“Before other vowels the series -av V[back] and -ay V[front] could be reinterpreted as – a vV[back] and -a yV[front], where the initial v/y could be taken as the automatic, non-phonemic v/y added in many Dravidian languages before initial back/front vowels, and therefore understood as the sequence -a V, i.e. the standard Sanskrit sandhi.“ (Ruzsa, 2009: 5)
-av V [back] -> -a vV [back]
-ay V [front] -> -a yV [front]
Ein Proto-Dravidisches *y geht oft vor einem tiefen Vokal verloren, woraus sich dieser Sandhi ergeben könnte:
/-e V-/ -> /-a V-/ (Ruzsa, 2009)
Lexikalische Einflüsse
Der zweite Teil der Arbeit soll das Entlehnen von konkreten Lexemen, anstatt von lautlichen Strukturen, behandeln. Burrow war besonders an den Entlehnungen in den ältesten indoarischen Texten interessiert. Southworth sieht für seine Zwecke die Entlehnungen am besten an, die möglichst früh, also in der Vedischen Periode, attestiert werden. McAlpin (1974) ist auch dieser Überzeugung, obwohl Deshpande (1993) anmerkt, dass der Ṛgveda in seiner ursprünglichen Fassung noch phonologisch anders gewesen sein soll als heute.
Um zu beweisen, dass ein Wort alt genug ist, um früh genug entliehen worden zu sein, hält Southworth es für nötig, ein Kognat aus den verschiedenen anderen Zweigen des Dravidischen heranzuziehen. Die Unterteilung des Dravidischen an sich stellt Probleme dar, aber man kann davon ausgehen, dass, wenn ein Wort in einer norddravidischen Varietät (Brahui, Malto oder Kurukh) auftritt und eine Kognate im Süddravidischen besitzt, wohl bereits so alt ist, dass es Proto-Dravidisch sein kann. Ähnliches gilt auch für Kolami, Naiki, Parji, Gadaba und die Süddravidischen Sprachen: Tamil, Malayalam, Kodagu, Toda oder Kota (Krishnamurti, 1968).
Wie bereits erwähnt ist die Bestimmung der Richtung einer Entlehnung oft problematisch und nur manche Worte haben eine klare indoarische / dravidische Etymologie. Es lassen sich wenige Lehnwörter aus dem Dravidischen im Indoarischen finden, die alle Expert:innen für gesichert erachten. Hier ist ein Auszug einer Liste von Burrow & Emenenau (1984), bearbeitet und gefiltert von Mayrhofer (1992), Thieme (1955) unWisd Southworth (2005).
kuṇḍa- „Loch“ | Ta. kuṇṭam „Hohlraum, Loch“ |
kūṭa- „Hammer“ | Ta. koṭṭu „Schlag“ Mal. kuṭṭu- „Schlag“ |
daṇḍa- „Stock“ | Mal. taṇṭa „Unterarm” |
phala- „Frucht“ | Ta. paẓu-„reif“ |
bala- „Stärke“ | Ta. val „Stärke, Fähigkeit“ |
bila- „Höhle“ | Ta. vi-l „außen offen“ |
vriś- „Finger“ | Ta. viral „Finger, Zehe“ |
(Ta. – Tamil / Mal. – Malayalam) |
Southworth postuliert, dass die indoarischen cluster entweder der dravidischen Phonotaktik angepasst wurden oder diese direkt aus einem Prākrit entlehnt wurden, das bereits vereinfacht worden war und womöglich wiederum später erneut eine Sanskritisierung erfuhr. Auch wäre es möglich, dass diese Vereinfachungen mit entlehnten Einheiten im Dravidischen stattfanden (Southworth, 2005).
Auch möglich ist, dass parallele Entwicklungen (Assimilation/ Vereinfachung von clustern, Lenition von intervokalischen Plosiven und Retroflexion) stattgefunden haben.
Zeitlicher Rahmen
Obwohl dies nicht das Hauptthema dieser Arbeit ist, würde ich gern noch den zeitlichen Aspekt dieser Hypothesen miteinbringen.
Da viele Wörter aus dem Indoarischen keine Kognaten im Indoiranischen besitzen, ist davon auszugehen, dass die Entlehnungen nach der Spaltung dieser Sprachzweige geschehen ist. Auch kann gesagt werden, dass die strukturellen Eigenschaften eines möglichen Dravidischen Substrats in den früheren Texten eine niedrigere Frequenz aufweisen als in den späteren (Deshpande, 1993).
Fazit
Das Ziel dieses Aufsatzes ist die Zurschaustellung des aktuellen Wissensstandes über den phonetischen und lexikalischen Einfluss des dravidischen auf das Indoarische und eine kleine Einführung für Interessierte, wie mich. Ich hoffe in den kommenden Jahren an den Themen, die mich interessieren weiterarbeiten zu können.
Phonetische Notation
Ich habe in diesem Artikel die phonetische Notation von Ruzsa bzw. Southworth übernommen. Die Entsprechungen in IPA lauten:
/ḥ/ ist ein Sanskrit Laut (visarga), ähnlich einem /h/.
/ṃ/ ist ein Sanskrit Laut (anusvāra), der einem unbestimmten bzw. halben Nasal ähnelt.
Literaturverzeichnis
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