Wenn es dir ein bisschen so geht wie mir, dann haben sich während des Masterstudiums Ideen herauskristallisiert, über die du deine Masterarbeit schreiben möchtest. Ich möchte aber gleich vorweg schicken: Der vorgestellte Prozess funktioniert für alle Arbeiten – von der Seminararbeit bis hin zur Dissertation, wie Laura Levstock festgestellt hat. Ideen zu haben bedeutet hier für mich, eine Richtung in die es gehen kann, weil ein bestimmtes Themenfeld dein Interesse geweckt hat. Für mich waren Theorien und Kontext recht schnell klar, mein größtes Problem war es, mich auf eine konkrete Analysemethode festzulegen. Aus dem Studium kannte ich unterschiedliche Herangehensweisen und für die Masterarbeit las ich unterschiedliche Monographien und Artikel, nur holte mich nichts so wirklich ab. Aufgrund der Lehrveranstaltungen im Masterstudium Angewandte Linguistik liebäugelte ich mit dem Diskurshistorischen Ansatz der Wiener Schule, meine Zweifel und Sorgen konnte ich aber einfach nicht auflösen. Letztlich war es dann der Input meiner Betreuerin, der mir dabei half, mich auf eine Methode festzulegen.
Heute kann Generative KI dabei helfen, wenn es darum geht, eine Masterarbeit zu planen, konzeptionieren und natürlich auch bei der Formulierung unterstützen. Stampfl & Prodinger (2024) stellen in ihrem Artikel dar, wie eine generative KI im Sinne eines Rollenspieles bei der Themendisposition helfen kann. Im Rahmen eines Projekt-Rollenspiels zeigen Stampfl et al. 2024, wie Generative KI Rollen einnehmen und Menschen beim Lernen unterstützen kann. Ich möchte aber gleich betonen, dass ich von einem Helfen spreche, welches die Interaktion mit anderen Menschen und Betreuer:innen nicht ausschließt, sondern ergänzt. Mir persönlich hat vor allem die Interaktion mit anderen dabei geholfen, meine Arbeit zu konkretisieren.
Stampfl et al. (2024: 122) stellen für das Rollenspiel folgendes Prompt bereit, das bei einer generative KI verwendet werden kann:
Sie sind der Hochschullehrender an einer Hochschule und dafür verantwortlich, dass Studierende aktuelle und in sich konsistente Themendispositionen für die Masterarbeit finden. Sie sind sehr streng und wollen von dem Studierenden vor der Freigabe einige Fragen beantwortet haben. Sie stellen mir kritische Fragen zu den folgenden Bereichen: Themengebiet, Problemstellung, Forschungslücke, Ziele und Nicht-Ziele, wissenschaftliche Fragestellung, theoretischer Hintergrund, geplante Forschungsmethode, zu erwartende Ergebnisse. Ich bin der Studierende und beantworte Ihre Fragen. Sie stellen jeweils eine Frage und stellen auf der Grundlage meiner Antwort die nächste Frage. Ich bekomme nur eine Zusage zur Themendisposition von Ihnen, wenn alle meine Antworten in sich konsistent sind und eine klare Vorgehensweise erkennbar ist. (Stampfl & Prodinger 2024: 122)
Ich habe den Prompt mit Le Chat von Mistral.ai ausprobiert. Mistral habe ich gewählt, weil es eine europäische generative KI ist, die gleichermaßen DSGVO-konformer ist und für die Erstellung eines Accounts lediglich eine E-Mail-Adresse und ein Passwort verlangt. Zudem ist eine Nutzung ab 13 Jahren möglich, was in unserem konkreten Fall nicht unbedingt relevant ist. Die Nutzungsbedingungen von KI-Systemen sollten in Unterrichtssettings jedoch immer bedacht werden. Ich habe ebenfalls beschlossen meine Masterarbeit “Sprache in kolonialen Kontexten – eine qualitative Untersuchung kolonialer Einflüsse auf das (sprachliche) Leben der Wounaan in Bogotá” als Grundlage heranzuziehen und versucht anhand meines damaligen Wissensstandes zu antworten. Die ganze Interaktion findest du hier im Chat mit Mistral.ai.
Nach einigem Hin und Her erhalte ich von Mistral.ai die Gretchenfrage zur Methode. Ich beschließe hier, keine konkrete Antwort zu liefern, sondern um Hilfe zu bitten.
Mistral schlägt mir die Kritische Diskursanalyse vor. Wie wir aber wissen, gibt es dort viele Ausformulierungen, entsprechend beantworte ich Mistrals Frage nicht, sondern hacke nach. Mistral beschreibt im Anschluss unterschiedliche Spielarten der Kritischen Diskursanalyse und auf erneute Rückfrage, welche denn für mich am geeignetsten wäre, schlägt Mistral die Kritische Diskursanalyse nach Jäger (2021) oder Reisigl (2017) vor. Das ist aus zweierlei Gründen spannend. Erstens weicht Mistral.ai von dem eigentlichen Prompt ab und berät mich. Man könnte aber hier natürlich argumentieren, dass Mistral nicht abweicht, sondern als Professor:in einfach eine beratende Rolle einnimmt. Dieser Impuls, mich näher mit zwei Methoden auseinanderzusetzen, hat mir damals bis zum Gespräch mit meiner Betreuerin gefehlt. Interessant ist auch, dass sich die Methode, für die ich mich tatsächlich entschieden habe, unter den beiden befindet.
Ich entscheide vorerst nicht mehr weiter darauf einzugehen und interagiere weiter mit Mistral.ai. Dieses fragt mich dann überraschenderweise folgendes:
Die Frage nach den Herausforderungen oder Hindernissen habe ich mir damals in meiner leichtsinnigen und optimistischen Art gar nicht gestellt. Das hätte ich wohl aber durchaus machen können. Wer mich begleitet hat, weiß, dass die Verbindung zu meinem ursprünglichen Kontakt, mit dem ich für meine Masterarbeit lernen und zusammenarbeiten sollte, kurz vor meinem Flug nach Kolumbien abgebrochen ist. Entsprechend stieg ich ohne Bezugspersonen in Kolumbien in den Flieger. Dass dann doch alles funktioniert hat, war Glück und lag vor allem daran, dass die Wounaan entschieden haben, mich zu unterrichten.
Aber zurück zu Mistral.ai. Ich merke jetzt so langsam, dass Mistral vom ursprünglichen Plan abweicht und unterstützender geworden ist. Es erstellt mir einen Zeitplan und fragt mich, ob ich noch weitere Aspekte besprechen möchte – gibt mir aber keine Zusage. Diese erfrage ich und erhalte ich dann auch. Yay- Masterarbeit Time it is, again.
Jetzt interessiert mich aber, wie Mistral.ai sich die Analyse mit dem Diskurshistorischen Ansatz nach Ruth Wodak und Martin Reisigl vorstellt. Immerhin hat mich Mistral.ai noch gar nicht zu meinen Daten befragt. Das äußere ich jetzt und verlange nach einem Analysebeispiel und bekomme eine durchaus durchdachte und für mich logisch nachvollziehbare Vorgehensweise. Tatsächlich kamen in meinen Gesprächen ähnliche Passagen vor. Ich bin wirklich positiv überrascht.
Zuletzt frage ich noch nach Literatur, die ich unbedingt lesen sollte. Mistral nennt hier Michel Foucault, Edward Said, Gayatri Chakravorty Spivak, Homi K. Bhabha, Norman Fairclough, Teun A. van Dijk, Ruth Wodak und Martin Reisigl, Arturo Escobar, Maria Lugnos, Walter Mignolo sowie Udo Kelle und Susann Kluge und Philippe Bourgois. Fast alle Namen, die in meiner Masterarbeit auch vorkommen.
Resümee: Ich bin überrascht, wie gut die Interaktion mit Mistral.ai funktioniert. Positiv hervorheben möchte ich, dass Mistral mich bei der Suche nach einer Methode unterstützt hat und mir ein konkretes Analysebeispiel für meinen Anwendungsfall generiert hat. Ich bin auch überrascht, dass der Literaturvorschlag die Literatur meiner Masterarbeit widerspiegelt. Ich kann den Einsatz von Generativer KI für die Themendisposition einer Masterarbeit also durchaus empfehlen. Gleichzeitig möchte ich aber nochmals hervorheben, dass es sich dabei für mich um eine Ergänzung und nicht um einen Ersatz anderer Interaktionen handelt. Ohne meine Betreuerin wäre meine Masterarbeit nicht das, was sie geworden ist. Das verdanke ich unseren Gesprächen und den Freiheiten, die sie mir eingeräumt hat. Eine KI kann mir keine Freiheiten einräumen. Zumal die Antworten einer KI entsprechend ihrer Temperatur auch limitierend sein könnte. Immerhin hängt davon die mögliche Kreativität ab. Wie dem auch sei: I am hooked 🙂
Laura Levstock hat mit ChatGPT ihre mögliche Dissertation besprochen und resümiert ebenfalls, dass es wunderbar geklappt habe. Es funktioniert also nicht nur für die Masterarbeit, sondern auch darüber hinaus.
Literatur
Jäger, Margarete. 2021. Kritische Diskursanalyse. Skizze eines Analysekonzepts. In Schahrzad Farrokhzad, Thomas Kunz, Saloua Mohammed Oulad M´Hand & Markus Ottersbach (eds.), Migrations- und Fluchtdiskurse im Zeichen des erstarkenden Rechtspopulismus, 3–22. Wiesbaden: Springer.
Stampfl, Rita, Barbara Geyer, Marie Deissl-O’Meara & Igor Ivkic. 2024. Revolutionising Role-Playing Games with ChatGPT. Advances in Artificial Intelligence and Machine Learning; Research 4(2). 2244–2257.
Stampfl, Rita & Michael Prodinger. 2024. KI-Planspiel zur Themendisposition. ChatGPT als Assistent zur Themenfindung für wissenschaftliche Arbeiten. wissen schaffen.lernen 11(4). 119–130.
Reisigl, Martin. 2017. The Discourse-Historical Approach. In John Flowerdew & John E. Richardson (eds.), The Routledge Handbook of Critical Discourse Studies Routledge, 44–59. London: Routledge.